Man meint, es habe im Mittelalter nur Klosterbräu gegeben. Aber so war es gar nicht. Zumindest nicht im frühen Mittelalter. Das war - zwischen dem fünften und dem neunten Jahrhundert - noch eine sehr germanische Epoche. Erst damals wurden überhaupt die Rechte der einzelnen Germanenstämme festgehalten und aufgeschrieben - die der Goten und der Burgunder, der Franken und der Alemannen, der Bayern und der Sachsen. Für unser Thema bedeutet das: bis weit über die Zeit Karls des Großen hinaus galt germanischer Brauch.
Da wurde in jedem Dorf, landauf und landab, üppig gebraut. Die Germanen hätten sich sehr gewundert, wenn ihnen jemand dieses Recht streitig gemacht hätte. Direkt, wie sie waren, hätten sie ihren Braukessel genommen und zugeschlagen.
Die »Lex alemannorum«, das alemannische Volksrecht, entstand 719 zur Zeit des Herzogs Lantfrit von Schwaben. 743 wurde unter der Regierung von Herzog Odilo die »Lex bajuwariorum« formuliert, das bayerische Volksrecht. In beiden war genau festgehalten, wer welche Abgaben zu erbringen hatte: Holz, Fleisch, Getreide, Flachs, Honig, Wolle. Und Bier. Jeder durfte brauen, soviel er wollte. Fest stand nur, was er abzuliefern hatte.
Auch Karl der Große, dessen Regierung 768 begann, legte Wert aufs Bier. Damals hatten die Kaiser noch keine festen Residenzen. Sie betrieben die Regierungsgeschäfte ambulant, im Umherziehen von Pfalz zu Pfalz. Traf der Kaiser in einem dieser Herrscherhöfe ein, besorgte der dort eingesetzte Amtmann alles Nötige, um den Tross zu versorgen - vor allem mit Lebensmitteln. Und natürlich mit Bier. Jede Pfalz hatte ihre eigene Brauerei, die fast ununterbrochen in Betrieb war. Karl der Große schätzte nicht nur die Qualität (denn er trank selbst sehr gern), sondern auch die Quantität. Bier konnte man verkaufen. Bei der jährlichen Abrechnung seiner Gutsverwalter verlangte er stets eine gesonderte Aufstellung über Kosten und Erträge seiner Brauereien.
Natürlich gab es zu Karls des Großen Zeit auch schon Abteien und Bistümer, Klöster und bierbrauende Mönche. Aber noch nicht lange. Die Klosterbrauereien galten damals als ganz neumodische Einrichtung.
Das Christentum war ja erst hundert bis zweihundert Jahre vor dem großen Karl - im 6. und 7. Jahrhundert - nach Germanien gekommen. Irische Mönche - bewundernswerte, tapfere Burschen - brachten es ins Land. Sie gründeten kleine Klöster, die nichts anderes waren als eine Anhäufung einzelner Hütten, deren jede eine Mönchszelle darstellte. Die Mönche, die von diesen Missionaren geworben wurden, hatten alles andere als ein feines Leben. Sie mussten ebenso von früh bis spät schuften wie vorher als Bauern oder Jäger. Mehr sogar, weil ihnen die Klosterregeln auch noch Mildtätigkeit und gute Werke auferlegten.
Das änderte sich erst, als die weltlichen Fürsten den Klöstern etwas von den Abgaben zukommen ließen: Brot, Gemüse, Getreide und Bier. Später wurde die Bierversorgung besser organisiert. Die Städte mussten an die Fürsten liefern, die Bauern an die Klöster, die unfreien Landarbeiter an Richter und Obrigkeit. Aber bis dahin verging noch einige Zeit.
Die Bauern waren damals halbe Heiden; Trinkopfer für den Germanengott Wotan waren noch lange Zeit üblich. Drum dichteten die Mönche vom Kloster des (damals schon heiliggesprochenen) Columban:
»Ihr opfert Bier den Göttern? Ei ei, was ficht Euch an? Schickt's lieber uns ins Kloster! So ruft Sankt Columban«.
Dieser irische Missionar Columban, der zu Beginn des 7. Jahrhunderts am Bodensee ein winziges Kloster gegründet hatte, war der erste Abt, dem es geraten schien, den Umgang mit dem Bier zu reglementieren. Für seine kleine Klostergemeinde stellte er einen Grundsatz auf, der von jedem modernen Mediziner stammen könnte: »Das Essen soll einfach sein. Es darf ebensowenig zur vollen Sättigung führen wie der Trunk zum Rausch. Essen und Trinken soll das Leben erhalten, ohne ihm zu schaden«.
Columban war auch sparsam und achtete auf Sauberkeit. Jeder Klosterbruder, der Bier auf Tisch oder Boden verschüttete, musste während der ganzen Nacht still stehenbleiben. Oder er musste sich - was noch schlimmer war - bei Tisch eine Zeitlang mit Wasser begnügen.
Bald fanden die Mönche heraus, dass Bier nicht nur gegen Durst gut war. Wenn man es dick und kräftig braute, konnte man davon sogar satt werden. Das war wichtig, denn in vielen Orden gab es strenge Fasternegeln. Tagelang, manchmal auch wochenlang durfte nichts gegessen werden. Nur trinken durfte man. Denn als alter kirchlicher Grundsatz galt: »Flüssiges bricht Fasten nicht«.
Der Grundsatz stammte aus Rom. Dort wusste man nicht viel vom Bier.
>> Das Geheimnis der Wüze kannte nur der Abt - Teil II
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Autor:
Rolf Lohberg (1982)
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